Geben ist seliger denn Nehmen? Quatsch!

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fysm Dienstagabend, ich tummele mich auf dem größten, kostenlosen Flohmarkt der Stadt. Mehr als 9.500 Besucher treiben sich hier rum, bieten Waren an oder nehmen Waren mit – und das alles kostenlos. Ja, kostenlos.

Ich treffe mich hier mit Katja, der Gründerin, um mit ihr über die Entstehung dieses ungewöhnlichen Handelsplatzes zu sprechen. Das Beste: dafür muss ich meine Couch nicht verlassen, mit einem Bier in der Hand, légere in Jogginghose stöbere ich die Angebote ganz einfach online durch, genauso wie Katja mir so meine Fragen beantwortet. Denn „Free Your Stuff Mannheim“ ist online, genauer gesagt eine Gruppe auf Facebook.
Hier kann alles angeboten oder gesucht werden, es gibt nur ganz wenige Regeln, die dafür sind aber glasklar. Oberstes Gebot: ALLES ist kostenlos, nichts darf verkauft werden. Ansonsten postet einfach jeder, was er sucht oder loswerden möchte. Dafür schreibt er einfach vor sein Gesuch „NEED“ oder „GIVE“ vor sein Angebot – das wars. Der Geber entscheidet dann, wer was bekommt. Verblüffend einfach, verblüffend effektiv.

Katja ist 27 und studiert Medizin, seit 2010 ist sie in Mannheim zuhause. Anfang 2013 gründete sie die Gruppe „Free Your Stuff Mannheim“ auf Facebook, der heute mehr als 9.500 Mitglieder angehören, Tendenz stetig steigend. Auf die Idee kam sie über das gleiche Angebot in Mainz. Doch auch dort ist das Tauschsystem nicht entstanden. Der Legende nach kommt die erste „Free Your Stuff“-Gruppe aus Luxemburg und wurde dort von einem rumänischen Studenten gegründet. Studenten sind überhaupt so etwas wie die Triebfeder der Bewegung, denn häufig muss mit kleinem oder keinem Budget der Neuanfang in einer fremden Stadt bestritten werden. Da kommt das kostenlose Tauschsystem von „Free Your Stuff“ gerade recht. „Es ist eine Gegenbewegung zur Wegwerfgesellschaft und ist somit nicht nur nachhaltig, sondern auch sozial und bringt ganz nebenbei auch noch Menschen zusammen, die sich sonst wohl nie kennengelernt hätten.“ beschreibt Katja die Idee dahinter. Anfang 2013 hat Katja zunächst ihre Freunde und Bekannte eingeladen. Der Rest ist Social Media-Geschichte: mehr als 9.500 Mitglieder tummeln sich heute in der Gruppe. „Facebook bietet hier eine ideale Grundlage für ein derartiges Schneeballsystem.“ so Katja über die Vorzüge der Plattform. Und in der Tat: die Liste der regionalen Special Interest-Gruppen auf Facebook ist lang, man kann quasi für alles Gleichgesinnte finden – und jeder kann selbst eine Idee forcieren, ohne dafür auch nur einen Cent in die Hand nehmen zu müssen.
Trotz der einfachen Regeln gibt es manchmal schwarze Schafe, die Spammen oder das kostenlose System zum eigenen Vorteil ausnutzen wollen. Dies zu unterbinden, ist eine der täglichen Aufgaben von Katja, die aber mittlerweile nicht mehr allein ist. Insgesamt 20 Administratoren kümmern sich heute darum, dass alles so läuft wie vorgesehen – bei so vielen Nutzern und Angeboten sicher ein bisschen Arbeit für das Team, auf das Katja stolz ist.
Arbeit ist es auch, sich durch die Flut an Gesuchen und Angeboten zu wühlen – die Liste ist lang und wird täglich länger. CDs, Bücher, Möbel, Kleidung – nichts, was es nicht gibt bei „Free Your Stuff Mannheim“. Im Laufe der Zeit gab es auch schon ausgefallenste Aktionen und Angebote. Im Februar wurde beispielsweise ein 150 Jahre altes Salonklavier angeboten – komplett kostenlos. klavierAuch soziales Engagement kommt in der Gruppe nicht zu kurz: für einen Obdachlosen wurde ein Rucksack aufgetrieben, einem Asylbewerberheim Geschenke gemacht oder mittellosen Familien geholfen. Und auch Katja ist natürlich unter den Gebern und Nehmern – so hat sie einer Künstlerin ihren alten Fön vermacht, die ihn seit dem zur Erstellung ihrer Werke nutzt.

Es ist spät geworden bei unserem Interview, auch auf der eigenen Couch. Ob ich die irgendwann mal bei „Free Your Stuff Mannheim“  reinsetze, weiß ich heute noch nicht. Aber in meinem Keller ist genug Material, das andere vielleicht noch nutzen wollen. Im Zeitalter von schnellen Bildern ist es vor dem achtlosen Wegwerfen oft die Frage wert, ob jemand etwas noch gebrauchen kann. Dank „Free Your Stuff Mannheim“ geht das auch in unserer Quadratestadt.
Zum Schluss des Gesprächs möchte ich von Katja noch wissen, was ihr persönlich schönstes Geschenk war in der Gruppe?  „Ein Backofen mit Ceranfeld, welcher mir geschenkt wurde. Dass jemand so großzügig ist und einer Fremden ein so großes Geschenk macht, hat mich sehr gerührt“.
Free Your Stuff Mannheim – ein Beispiel dafür, wie neue Medien und Social Media auch das Zusammenleben in Städten positiv verändern. Einfach klicken und mitmachen! www.facebok.de/groups/FYSmannheim

3 Antworten zu „Geben ist seliger denn Nehmen? Quatsch!“

  1. Avatar von sebi-rockt
    sebi-rockt

    Vielen Dank für den tollen Artikel über meine Lieblingsgruppe. Ich möchte hier auch noch die Gelegenheit nutzen ein bisschen Werbung zu machen für den ersten Kostenlosflohmarkt von Free your Stuff Mannheim. Das Konzept ist das gleiche wie in der Gruppe nur eben wie jeder andere Flohmarkt live auf dem alten Messplatz in Mannheim am 06.09.2014.
    Jeder darf einen Stand machen und Sachen verschenken oder sich einfach nur beschenken lassen (nicht tauschen und nicht verkaufen!)
    https://www.facebook.com/events/1455051581416718/

  2. Avatar von Maximilian (Mannheimat)
    Maximilian (Mannheimat)

    Hallo Sebi, vielen Dank für Dein Feedback! Freut mich wenn das Lesen Freude bereitet. Wenn Du nichts dagegen hast, würde ich den Kostenlosflohmarkt ein paar Tage vorher noch mal auf Facebook ankündigen?

    Greetz

    1. Avatar von Igor
      Igor

      Thanks Sis, I love you so much! I’m proud of all of us and the way we support each other. I enjyeod writing this and sharing something happy, but hey, sometimes a little pants-kicking is good too

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