Exkurs: Wann ist Weihnachten?

By

.


IMG_1033

Wann ist Weihnachten? Und vor allem: was ist Weihnachten? Und wann darf man eigentlich seinen Weihnachtsbaum aufstellen?

Ich oute mich: seit dem 8. Dezember steht mein Weihnachtsbaum im Wohnzimmer und sorgt allabendlich fรผr wohlig warmes Licht. Sehr zur Verwunderung vieler Menschen in meinem Umfeld – doch warum eigentlich?

Als ich den Baum dank akutem Parpkplatzmangel in den Abendstunden, ordnungsgemรครŸ eingenetzt und bรคrenstark geschultert, durch die halbe Innenstadt Richtung eigene vier Wรคnde trug, fasste mein Nachbar die Blicke der Menschen unterwegs mit der Aussage „Du bist aber frรผh dran“ treffend zusammen. Und in der Tat, es scheint ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass der Weihnachtsbaum in deutschen Wohnzimmern erst an Heiligabend Einzug hรคlt. Gelernt aus Kindertagen, so war es auch bei uns. Am Tage des 24. Dezember war das Wohnzimmer fรผr uns Kinder Tabuzone, bis am Abend das Christkind vermeintlich mit dem Glรถckchen lรคutete und mein Bruder und ich den Raum stรผrmten, in der Hoffnung, es dieses Mal noch zu Gesicht zu bekommen. Hat รผberraschenderweise nie geklappt, in all den Jahren nicht – dafรผr standen unsere Eltern dort neben einem festlich geschmรผckten Weihnachtsbaum im ansonsten dunklen Wohnzimmer – ein wunderschรถner Anblick, nicht nur fรผr Kinderaugen.

An Traditionen sollte man festhalten, und wenn ich mein lotterhaftes Vagabundenleben eines Tages gegen Seriรถsitรคt und Familie eingetauscht habe, wird der Baum wieder am 24. Dezember aufgestellt. Doch heute ist die Situation eine andere.
In meiner neuen Herberge ist endlich ausreichend Platz fรผr einen schรถnen Weihnachtsbaum, und ich kann kaum erklรคren, wie sehr ich mich auf diesen ersten, richtigen, eigenen Baum gefreut habe. Berufsbedingt sind die Tage vor Weihnachten turbulent ย – wie man auch auf diesem Blog bemerkt. Und wรคhrend ich mich gerade frage, weshalb sich niemand รผber Osterhasen im Januar und Lebkuchen im September, aber รผber einen geschmรผckten Weihnachtsbaum Anfang Dezember wundert, sitze ich im schneefreien Nieselregen in den Schweizer Alpen auf der Radio Regenbogen Pistenparty.
Weihnachten selbst verbringe ich wie viele dann bei meinen Eltern, bevor es kurz nach Silvester wieder auf Reisen geht.
In Summe bleibt also gar nicht so furchtbar viel Zeit, beseelt vor meinem Bรคumchen zu sitzen.

Aber genau dieses Gefรผhl ist es, was fรผr mich Weihnachten ausmacht. Neben der dem Kommerz zum Opfer gefallenen religiรถsen Komponente ist es die Zeit im Jahr, in der man hofft ein paar ruhige Stunden zu finden und die vergangenen zwรถlf Monate Revue passieren zu lassen. Fรผr mich ist der Kirchenbesuch am heiligen Abend ein Pflichttermin, obwohl ich mich nicht als sonderlich religiรถs bezeichnen wรผrde. Wenn am Ende das Licht gedimmt wird und „Stille Nacht“ ertรถnt, habe ichย ausnahmsweise mal nicht mein รผberteuertes Smartphone als vermeintlich unersetzlichen Kontakt zum Rest der Welt in der Hand, sondern denke an die traurigen und schรถnen Momente des Jahres und die Menschen, die mir wichtig sind. Es geht mir mehr um diese unbezahlbaren Momente der inneren Ruhe; erinnert zu werden, dass wir verglichen mit dem Rest der Welt ein privilegiertes Leben fรผhren, das uns erlaubt, Lebkuchen im September als Problem zu identifizieren.
Kindlich-naiv hoffe ich an diesem Tag, dass mรถglichst die ganze Welt sich an diesen Tagen Zeit nimmt, im Kreise ihrer Familien unbeschwerte Stunden zu verbringen, wohl wissend, dass die Welt nicht ist wie sie gerne wรคre. Wenn man aber genau hinschaut, kann man an Weihnachten entdecken, wie sie sein kรถnnte, wenn wir wollten.

Weihnachten ist vielerorts fรผr viele jedoch Stress. Geschenke auf den letzten Drรผcker kaufen, hervorragendes Essen fรผr eine 12-kรถpfige GroรŸfamilie zaubern, das Reisen quer durch die Republik nicht zu vergessen – wir sind sehr gut darin, uns auch an vermeintlich entspannten Tagen unnรถtig Stress zu machen.
Mein Weihnachtsbaum ist da fรผr mich so etwas wie eine Energiequelle. Er lรคsst mich an den letzten, hektischen Tagen des Jahres innerlich zur Ruhe kommen. Ich mag Weihnachten, und ich mag Weihnachtsbรคume. Kein Mensch wundert sich, dass die festlichen Bรคume in Kirchen, auf Mรคrkten und in Geschรคften seit dem ersten Advent stehen, aber in den eigenen vier Wรคnden? Das geht doch nicht!

Doch, das geht. Sehr gut sogar. Denn wenn wir es richtig machen, ist Weihnachten mehr als dieser eine Abend voller Geschenke und exquisitem Essen. Eine Retrospektive. Eine Mรถglichkeit, anderen und sich selbst Aufmerksamkeit zu schenken.
Ein gutes Gefรผhl, das lรคnger hรคlt.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht verรถffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert